Page 14 - M Magazin für Mendig
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Nach der Reichspogromnacht, einem der ersten Höhepunkte der Verfolgung, beginnt man die Menschen, die nicht hatten fliehen können oder wollen, zu deportieren , in Ghettos und Lagern zu internieren, um sie schließlich planmäßig, syste‐ matisch zu töten.
Es geschieht ein Völkermord ohne gleichen, ein Menschheitsverbrechen, der Holocaust.
Warum aber müssen wir uns immer wieder damit befassen? Einmal, um zu verstehen, wie es zu einem solchen Zivilisationsbruch kommen konnte und zum anderen, um Strategien zu entwickeln, die eine Wiederholung derartiger Verbrechen ver‐ hindern.
Inzwischen sind die meisten der Zeitzeugen längst tot und uns bleibt es nur, ihre Aufzeich‐ nungen, ihre festgehaltenen Erinnerungen aufzu‐ rufen und wach zu halten.
Auch in unserer kleinen Stadt gab es Zeitzeugen, Opfer, Täter, eine Bevölkerung die weitestgehend wegschaute, aber auch mutige Widerständler und vereinzelt hilfsbereite Menschen.
Die judenfeindliche Politik wurde aber auch hier radikal umgesetzt. Auf dem Foto links oben sehen wir die letzten Mendiger jüdischen Bürger, mit dem Rest ihrer Habe auf dem Weg in die Deporta‐ tion, auf dem Weg in den Tod.
Von der jüdischen Familie May sind uns eine beachtliche Anzahl von Zeitzeugenberichten, ja selbst von Dokumenten und Bildern bekannt. Ins‐ besondere die Töchter von Moritz May, einem wohlhabenden angesehenen Bürger der Stadt, der eine gut gehende Metzgerei in der Wollstraße führte, Ruth Kissel und Lore Reich. Sie leben heute
▼Frau May, Moritz May, dahinter Man- fred May, Ruth Kissel und Lore Reich 1946 in den USA
in den USA und haben in Abständen immer wieder Mendig besucht, um sich auf die Spuren der Vorfahren zu begeben.
Der Stammbaum der Mays geht in Niedermendig bis auf das 17. Jahrhundert zurück. Der abgebil‐ dete Zweig benennt die direkten Nachkommen von Leopold May, die auf dem Foto von 1910 alle abgebildet sind. Sein ältester Sohn Moritz May erscheint dann später nach der Emigration mit seiner Familie auf dem Foto von 1948 in den USA ( Moritz, seine Frau , die Kinder Manfred, Lore und Ruth.)
Bereits in den frühen dreißiger Jahren waren die Kinder Schikanen ausgesetzt, sei es in der Schule, auf dem Schulweg oder im Schwimmbad. Von 1935 an wurde es den arischen Hausangestellten verboten, für die Familie zu arbeiten und die Kinder verloren ihre vertraute Kinderfrau, Frau Anna Grün, der sie aber nach dem Krieg im Verlauf eines Heimatbesuchs wieder begegneten.
In der Reichspogromnacht wurde Moritz May ver‐ haftet, nur weil er Jude war und ins Konzentrati‐ onslager Dachau deportiert, gleichzeitig verhaftete man auch seinen Bruder Sally, der sich an diesem Tag auf Geschäftsreise befand und internierte ihn im Lager Buchenwald. Beide wurden dort gedemütigt und geschlagen. Bevor man sie nach etwa 6 Wochen frei ließ, mussten sie sich verpflichten innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens mit der ganzen Familie zu emi‐ grieren. Noch während der Vorbereitungen zur Ausreise ging in der Kommunalverwaltung ein erneuter Haftbefehl für Moritz May ein, dessen
Umsetzung dann aber der Polizeimeister Blum aus Mendig verhinderte, indem er die Familie warnen konnte. So gelang es ihnen in letzter Minute noch Hals über Kopf zu fliehen und über Südamerika in den USA dem sicheren Tod zu ent‐ kommen. Dort wurden die Eltern nie heimisch und die Mutter nahm sich später das Leben.
Auch Sally May gelang zusammen mit seiner Frau Jettchen die Aus‐ reise, während weitere Familienmitglieder, wie seine Schwester Hedwig Bier, seine Tante Julie Kahn, bei der Deporta‐ tion 90 Jahre alt, seine Cousine Clara Falk mit Mann und Tochter ihr Leben in Konzentrations‐ lagern lassen mussten.
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